Theater Deja-vu Bonn mit "Der Tod und das Mädchen" im Alten Kaufhaus
Wer Gewalt erlebt, will Rache. Wer Rache übt, erzeugt Gewalt. Wie lässt sich diese tödliche Spirale stoppen? Im Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“, 1990 nach der chilenischen Militärdiktatur entstanden, wird diese Frage auf beklemmende Art gestellt. Parallelen zu den gnadenlosen Konflikten der heutigen Zeit drängen sich auf.
Von Rita Reich
Es sind etwa 60 Zuschauer, die das Stück von Ariel Dorfman im Alten Kaufhaus verfolgen. Sie sind spürbar gebannt von dem dichten Geschehen, von der Darstellung der drei Personen, die, jede auf andere Weise, Täter und Opfer zugleich sind.
Der Peiniger kommt zu Besuch
Die Handlung: Paulina (Iris Sonntag), ein traumatisiertes Folteropfer, glaubt in dem Mann, der zufällig ins Haus geschneit ist, ihren früheren Folterer und Vergewaltiger wiederzuerkennen. Zwar hat sie ihn nie gesehen, doch sie zweifelt nicht; denn sie erinnert sich an seine Stimme, seinen Geruch, der sie ekelt, seine Haut. Paulina will Rache, ein Geständnis und Reue. Sie fesselt ihn, quält ihn, bedroht ihn mit einer Pistole. Dr. Miranda (Steffen Fischer) ist ein wimmerndes Häufchen Elend, doch er beteuert seine Unschuld. Zwischen den beiden steht Paulinas Mann Gerardo (Andreas Görlich), ein Anwalt. Als Mitglied der Kommission, die die Verbrechen während der chilenischen Militärdiktatur untersuchen will, setzt er auf die Aufklärung der Gräueltaten, die in Versöhnung münden soll. Doch er kann sich dem Geschehen nicht entziehen, gerät in Gefahr, selbst zum Mittäter zu werden.
Intensives und hautnahes Theatererlebnis
So eine Theaterszene brennt sich ein: Paulina – was für eine Frau! Da steht sie auf der Bühne, aufrecht und angespannt, die Pistole in der Hand, fixiert den stammelnden Mann, den sie für ihren Folterer hält, mit eiskalten Augen. Sie zittert vor Wut und ist doch zutiefst verletzt und traumatisiert. Iris Sonntag gelingt es, den unheilbaren Schmerz, die Besessenheit, die Gewaltfantasien des Folteropfers intensiv und hautnah darzustellen.
Der Mann, der ihr gegenübersitzt, ist auf den ersten Blick nicht als Unmensch zu erkennen: scheinbar kultiviert, in unauffälligem Beige gekleidet, ein Arzt, der gerne Nietzsche zitiert und Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ liebt. Diese Musik soll auch während der Folter gelaufen sein. Man fühlt sich an Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“ erinnert. Gefesselt und mit einem Küchenhandtuch geknebelt, verwandelt sich Miranda in ein hilfloses Bündel Mensch und fleht um Gnade. Steffen Fischer bewältigt eine schwierige schauspielerische Aufgabe: Er verkörpert einerseits die gequälte Kreatur und andererseits den möglichen Täter. Man bleibt im Ungewissen: Ist er wirklich der Folterer und Vergewaltiger, übler Knecht einer Diktatur, oder ein Opfer der „Verrücktheit“, wie er sagt, einer traumatisierten Frau?
Der hilflose Intellektuelle
Vernünftig, sympathisch, aber hilflos: Das ist die Figur des Gerardo. Er will Versöhnung erreichen, die Wahrheit herausfinden, er will seiner Frau gerecht werden – und er ist mit diesen Ansprüchen total überfordert. Mit Brille und langen Haaren zeichnet Andreas Görlich das Bild eines sanften Intellektuellen, der kühlen Kopf bewahren möchte, sich aber immer weiter in den Sog der unerbittlichen Auseinandersetzung ziehen lässt.
Das Kammerspiel, das Deja vu auf die karge Bühne gebracht hat, lebt nicht von Effekten. Die Geschichte, das Thema ist allein intensiv genug. Bei der Frage, was Rache bewirkt, wird wohl fast jeder Zuschauer an den schrecklichen Krieg im Nahen Osten gedacht haben, aber auch an viele andere Konflikte auf dieser Welt, die nicht enden wollen. „Wie können diejenigen, die gefoltert wurden, und diejenigen, die gefoltert haben, in demselben Land miteinander leben?“ formuliert Autor Ariel Dorfman als zentrale Frage. Dass es darauf keine einfache Antwort gibt, zeigt „Der Tod und das Mädchen“ eindrucksvoll.
Aus: Rheinpfalz, 05.02.2024
Fotos von Thomas Engelberg
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